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Herdenschutz bei Rindern: Veranstaltung in St. Märgen

Welcher Herdenschutz ist bei Rindern zumutbar? Diese Frage muss beantwortet werden, damit ein Wolf rechtssicher entnommen werden kann. Am Mittwoch den 29. März 2023 stellte das Stuttgarter Umweltministerium in St. Märgen einen Entwurf vor, der in einem Projekt weiterentwickelt werden soll.

Karl-Heinz Lieber, Abteilungsleiter Naturschutz am Stuttgarter Umweltministerium.

Das Gesetz verbietet es, einen Wolf zu erschießen, bevor er mehr als zweimal innerhalb von sechs Monaten Herdenschutzmaßnahmen überwunden hat. Für Schafe und Ziegen ist bereits geregelt, was als wolfsabweisend gilt. Bei Rindern fehlte bisher eine Definition, weil man davon ausgegangen war, dass der Wolf nur äußerst selten ältere Tiere angreift. Allerdings hat der im Raum Schluchsee ansässige Wolf GW1129m die Statistik durcheinander gebracht – zumindest in Baden-Württemberg. Während bundesweit bei Angriffen auf Rinder vor allem Kälber bis zu einem Alter von 14 Tagen betroffen sind, waren es im Südschwarzwald hauptsächlich Tiere zwischen sieben und zwölf Monaten oder sogar noch älter. Hinzu kommt, dass man davon ausgehen kann, dass sich demnächst ein erstes Rudel im Schwarzwald bilden wird, seit vor wenigen Wochen eine Wölfin gesichtet wurde.

Herdenschutzprojekt gestartet

Deshalb sollen jetzt auch für Rinder Herdenschutzmaßnahmen definiert werden – der Aufwand soll aber „zumutbar“ sein. Klar ist: Ein flächendeckend wolfsabweisender Zaun, wie er bei Schafen und Ziegen gebaut wird, ist nicht zumutbar – sowohl arbeitswirtschaftlich als auch für den Tourismus. Um herauszufinden, was möglich ist, hat der BLHV zusammen mit der Erzeugergemeinschaft Schwarzwald Bio-Weiderind und dem Naturpark Südschwarzwald ein Projekt gestartet. Unterstützt durch die Forstliche Versuchsanstalt (FVA) und das Landwirtschaftliche Zentrum Baden-Württemberg (LAZBW) sollen in den nächsten vier Jahren unterschiedliche Maßnahmen auf zehn Pilotbetrieben getestet werden. Ein weiterer zentraler Aspekt des Projektes soll die Herdenschutzberatung durch einen bäuerlichen Vertreter sein, der gleichzeitig mit Behörden umgehen kann. Die BBZ berichtete in Ausgabe 10 auf Seite 14 ausführlich. „Wir wollen schauen, was möglich ist und was nicht“, erklärte BLHV-Präsident Bernhard Bolkart das Ziel des Projektes. Es gehe darum, „vernünftige“ Lösungen zu finden, die auch von der Gesellschaft akzeptiert würden. Zum Projektstart wurde nun ein erstes Konzept zur Zumutbarkeit vorgelegt, das Karl-Heinz Lieber, Leiter der Abteilung Naturschutz beim Stuttgarter Umweltministerium, und Ronja Schütz von der FVA vorstellten. Danach soll es zwei Stufen je nach Alter der Rinder geben. Für bis zu acht Wochen alte Kälber wurden acht wolfsabweisende Maßnahmen definiert, von denen mindestens eine erfüllt sein muss – siehe Grafik. Das entspricht dem bisherigen Standard für Schafe und Ziegen. Ältere Tiere sollen durch „stark risikomindernde Maßnahmen“ geschützt werden. Dazu soll immer die sogenannte kompakte Weideführung gehören, die durch eine weitere Maßnahme ergänzt werden muss. Diese zusätzliche Maßnahme darf jeder selbst aus bisher vier Vorschlägen auswählen. Im Laufe des Projektes soll der Maßnahmenkatalog weiterentwickelt werden. Es können also noch Optionen dazukommen oder andere wegfallen, wenn sie sich als nicht praktikabel herausstellen.

Die genauen Begriffsdefinitionen sollen bis Ende April stehen. Danach soll der Maßnahmenkatalog fortlaufend weiterentwickelt werden – je nach Erkenntnissen aus Praxis und Wissenschaft.

Auf den ersten Blick scheint die Frage der Zumutbarkeit geklärt. Allerdings wurde ein undefinierter Begriff teilweise durch andere unkonkrete Begriffe ersetzt. Was genau ist eine kompakte Weideführung? Welche Tiere gelten als wehrhaft oder als gute Muttertiere? Diese Fragen sind bisher unbeantwortet, sollen aber zusammen mit der Praxis erarbeitet werden und bis Ende April rechtssicher stehen. Das Land fördert – wie bei den Schafen und Ziegen – auch bei Rindern innerhalb der Förderkulisse Wolfsprävention die Investitionen in den zumutbaren Herdenschutz sowie den Mehraufwand bei der Weideführung. Bei der Integration von Tieren zum Schutz der Herde übernimmt das Land pauschal Kosten für den Unterhalt.

Bei Entnahme im gesetzlichen Rahmen bleiben

„Überwindet ein Wolf diese Herdenschutzmaßnahmen zweimal innerhalb von sechs Monaten, fliegt die Kugel“, versichert Karl-Heinz Lieber. Dafür habe das Umweltministerium ein Entnahmeteam zusammengestellt mit Personen, die Erfahrung im Schießen von Wölfen haben. „Wir können uns nicht vorstellen, dass Weidehaltung und Wolf in unserer Topographie möglich sind“, erklärte Bolkart und positionierte sich damit klar an der Seite der Bäuerinnen und Bauern. Trotzdem müsse man sich auf den Weg machen und sich auf konstruktive Diskussionen einlassen, um etwas zu erreichen. Nur so könne man auch die Gesellschaft mitnehmen. Für Bolkart heißt das: Man muss innerhalb der bestehenden Gesetze alle Möglichkeiten ausloten. Dazu gehört auch der Grundsatz: erst Herdenschutz, dann die Entnahme.

Diskussionen über den Zaun hinweg

Nachdem in St. Märgen das Projekt und das neue Konzept für den Herdenschutz bei Rindern vorgestellt wurden, startete eine Podiumsdiskussion. Viele der mehr als 450 Besucher berichteten von eigenen Erfahrungen, stellten konstruktive Fragen und äußerten zum Teil lautstark Kritik.

Hinter einem symbolischen Herdenschutzzaun saßen auf dem Podium BLHV-Präsident Bernhard Bolkart, Roland Schöttle vom Naturpark Südschwarzwald, Ronja Schütz von der Forstlichen Versuchsanstalt (FVA), Karl-Heinz Lieber vom Umweltministerium, Moderator Bernhard Nägele vom Bildungshaus Kloster St. Ulrich und Lukas Schaudel, beim BLHV zuständig für Wolfsangelegenheiten. Sie alle stellten sich den Fragen der Landwirtinnen und Landwirte, die Schlange standen, um zu Wort zu kommen.

Nicht praxistauglich

Einige der Maßnahmen, die im neuen Konzept zum Herdenschutz bei Rindern stehen, wurden direkt als nicht praxistauglich identifiziert – allen voran die Behirtung. Ebenfalls kritisch sehen manche den Vorschlag, Rinder nachts im Stall zu behalten, wenn die Sommermonate immer heißer werden. Auch die Empfehlung, die Kühe im Winter abkalben zu lassen, wurde zum Teil abgelehnt. Im Winter sei der Infektionsdruck höher und die Kälberverluste würden steigen. Den Vorschlag, Lamas als Herdenbeschützer einzusetzen, belächelten viele. Eine Tierhalterin, die selbst Lamas für diesen Zweck hält, bezweifelt, dass diese es mit mehreren Wölfen aufnehmen könnten. Zudem gab es Kritik an den Ausbildungsvorgaben für Herdenschutzhunde, die nicht zur Region passten. Und ein Landwirt stellte in Frage, ob die „kompakte Weideführung“ überhaupt mit den Bioland-Richtlinien vereinbar sei. Viele beschäftigte auch das Thema Entschädigungszahlungen; der Schlachtwert für ein gerissenes Tier sei zu gering. Lieber stellte zwar klar, dass Zuchttiere auch als solche bewertet würden, allerdings könne man den emotionalen Wert nicht berechnen. Auch auf die psychologische Belastung für die Tierhalter ging Lieber nicht ein. Leistungseinbußen von überlebenden Tieren könnten wiederum entschädigt werden – genauso wie der Aufwand für das Einsammeln versprengter Tiere. Das Geld komme aus demselben Topf wie die Entschädigung für gerissene Tiere. Der Knackpunkt ist: Man muss nachweisen können, dass der Schaden durch einen Wolfsangriff verursacht wurde. Zudem stellte Lieber klar, dass sich bei der Tierhalterhaftung nichts ändere. Richte eine ausgebrochene Herde einen Schaden an, übernehme das nach wie vor die Haftpflichtversicherung. Hier würden nicht die Standards für einen Herdenschutzzaun gelten. Ein weiteres ungeklärtes Thema brachte Otto Rees, Ziegenhalter aus Horben, vor: Die Herdenschutzvorgaben sehen vor, dass auch Ställe im Außenbereich wolfsabweisend eingezäunt sein müssen. Das sei für ihn als Direktvermarkter nicht umsetzbar. Lieber versprach, das Thema mitzunehmen.

In der offenen Diskussionsrunde standen viele Besucher und Besucherinnen Schlange, um selbst zu Wort zu kommen.

Wer will den Wolf?

Aus Sicht der meisten Anwesenden scheint die Antwort klar: niemand. Aber, ob das in einer Umfrage in der Bevölkerung genauso wäre? BLHV-Vizepräsident Martin Linser bezweifelt das und rät: „Wenn ihr wollt, dass die Gesellschaft auf eurer Seite steht, müsst ihr in die Stadt gehen und die Wolfs-Befürworter mitnehmen.“ Hier sei jeder Einzelne gefragt. Lieber betonte immer wieder, wie wichtig es sei, dass man bei einer Wolfsentnahme Rechtssicherheit habe. Denn die ersten Fälle geschossener Wölfe würden ziemlich sicher vor Gericht landen. Beispiele hätten gezeigt: Wer vorschnell handle, habe ein Verfahren der EU am Hals – so etwa Niedersachsen, Schweden und Finnland. Zudem habe Lieber aus Norddeutschland gelernt: Tierhalterinnen und Tierhalter müssten einbezogen werden – dafür gebe es nun das Projekt und deshalb höre er sich die Kritik vor Ort an. Dass man von Norddeutschland lernen könne, dem stimmten einige aus dem Publikum zu. Allerdings sehen die Schlussfolgerungen anders aus: Beispiele hätten gezeigt, dass Herdenschutzzäune nicht funktionieren. Eher müsse man die Anzahl der Wölfe reduzieren, bevor sie explodiere. Sich aktiv einzubringen, das forderte auch Landtagsabgeordnete und Landwirtin Martina Braun. Sie appellierte an das Publikum, sich direkt an Politikerinnen und Politiker zu wenden. Sie selbst wolle sich dafür einsetzen, dass sich auf EU-Ebene etwas bewegt.

Maria Wehrle

Ist das Jagdrecht die Lösung des Problems?

Aus rechtlichen Gründen müsste der Wolf bei Einfügung ins baden-württembergische Jagdrecht als streng geschützte Art geführt werden. Dann unterläge er zwar dem Jagdrecht, hätte aber eine ganzjährige Schonzeit und dürfte auch nicht im Einzelfall auf einfache Anordnung der Unteren Jagdbehörde geschossen werden. Es bringt daher außer Symbolik im Ergebnis nichts. Die Vorgaben der EU-FFH-Richtlinie und das Artenschutzrecht des Bundesnaturschutzgesetzes gelten vorrangig auch dann, wenn der Wolf in das Jagdrecht aufgenommen würde, das nur dem Landesrecht unterliegt.

Zielführender wäre es, den Schutzstatus des Wolfes auf europäischer Ebene zu ändern. Das Europäische Parlament hat im November 2022 gefordert, dass die FFH-Einstufung des Wolfs angepasst werden soll, durch Abstufung von Anhang IV nach Anhang V. Das ist der Schritt in die richtige Richtung, der von der Bundes- und Landesregierung unterstützt werden muss. Deshalb hat ihn Präsident Bolkart auch bei Ministerpräsident Kretschmann schon im Februar eingefordert.

Otmar König, BLHV

Bei der Veranstaltung wurden am Eingang Unterschriften gesammelt für eine Petition, damit der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen wird.