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Die große Freiheit gewinnt man nicht

Den BLHV erreichen zahlreiche Anfragen, was denn zu beachten sei, wenn man aus dem Antragsverfahren aussteigt. Die kurze Antwort heißt: das Fachrecht gilt weiterhin. Aber es gibt weitere Aspekte zu bedenken, die BLHV-Referent Hubert God nachfolgend erklärt. Als Empfehlung zum Ausstieg aus dem Antragsverfahren will er das nicht verstanden wissen.

INFORMATIONEN

10.000 Auflagen für die Landwirtschaft

Landwirtschaftliche Betriebe müssen eine Unmenge an Auflagen einhalten. Zunächst einmal ist das Fachrecht von allen einzuhalten. Ein Teil davon ist zusätzlich CC-prämienrelevant. Mit dem Antrag auf Direktzahlungen gehen landwirtschaftliche Betriebe weitere Pflichten im Bereich von CC und Greening ein. Diese heißen künftig „Konditionalität“. Und dann gehen Landwirte häufig bei der Vermarktung von Produkten mehr oder weniger freiwillig auch noch zusätzliche Pflichten im Rahmen von QS, QM oder Initiative Tierwohl ein, die von der freien Wirtschaft eingeführt wurden. Wer kann da noch den Überblick behalten?

Die LEL Schwäbisch Gmünd hat für das Land einen detaillierten GQS-BW Hofcheck entwickelt und hält diesen aktuell. Dieser Hofcheck bietet interessierten Betrieben einen systematischen Überblick über die vielfältigen Anforderungen. Die zugrundeliegende Datenbank umfasst rund 10.000 Einträge. Unter www.gqs-online.de/GQSBW/ können landwirtschaftliche Betriebe sich betriebsindividuell eine Checkliste für die jeweiligen Betriebsbereiche online erstellen. Auf dieser Checkliste steht in der ersten Spalte das Symbol „§“, was darauf hindeutet, dass die jeweilige Anforderung auf Fachrecht zurückgeht. „CC“ steht für CrossCompliance und „GR“ für Greening. Das Erstmalige Ausfüllen des GQS-Hofcheck BW macht im Einzelfall viel Aufwand. Das Land bietet dafür eine Förderung im Rahmen der Modulberatung.

Landwirtschaftliche Unternehmen stellen sich nicht erst bei anstehenden Hofnachfolgen die grundsätzliche Frage nach der künftigen Ausrichtung des Betriebes. Wer sich einen Überblick verschaffen will, kann sich beraten lassen in einem kostenlosen Betriebs-Check. Infos und Listen von Beratern gibt es ebenfalls bei der LEL.

Hubert God

CrossCompliance und Greenig heißen künftig „Konditionalität“. Es setzt sich zusammen aus Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB) und Standards für einen guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand der Flächen (GLÖZ). Die Konditionalität erstreckt sich neben den Direktzahlungen auch auf Programme der Zweiten Säule wie FAKT, LPR, Ausgleichszulage, Umstrukturierung von Rebflächen und Investitionsförderprogrammen. Ein Verzicht auf die Konditionalität ist in der Regel gleichbedeutend mit einem kompletten Verzicht auf den Gemeinsamen Antrag.

Jedes Jahr neu entscheiden

Der Beginn eines neuen Förderzeitraumes ist ein günstiger Zeitpunkt, sich grundsätzlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wer in Baden-Württemberg erst einmal einen neuen LPR-Vertrag abgeschlossen hat oder ab Dezember im FAKT-Förderantrag neue Fünfjahresverpflichtungen eingeht, kann anschließend während der Laufzeit dann nicht mehr ohne Weiteres aussteigen.

Ganz anders ist das bei den Direktzahlungen: Jeder Betrieb kann jedes Jahr aufs Neue entscheiden, ob er einen Antrag auf Direktzahlungen und Ökoregelungen stellen möchte oder eben nicht. Anträge sind freiwillig.

Die Landwirtschaft muss auch ohne Antrag eine Fülle von Vorschriften, das so genannte „Fachrecht“ beachten. Die Einhaltung wird mit Fachrechtskontrollen überwacht. Die Behörden können festgestellte Verstöße mit Bußgeld ahnden. Bei Antragsverzicht entfällt lediglich die Androhung von Prämienkürzungen.

Wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb auf den Gemeinsamen Antrag verzichtet, gewinnt er nicht die große Freiheit, sondern allenfalls einige Freiheiten. Nachfolgend wird dies beispielhaft angesprochen.

Düngung

Zum Fachrecht zählen beispielsweise die Verbringensverordnung, die Stoffstrombilanz-Verordnung und natürlich die Düngeverordnung. In den vergangenen Jahren kamen spezielle Auflagen in Nitratsanierungsgebieten und für Phosphat in eutrophierten Gebieten. Nährstoffuntersuchungen, bodennahe Ausbringung von Wirtschaftsdünger sowie Dokumentationspflichten sind oberhalb von gewissen Untergrenzen Pflicht. In baden-württembergischen Heilquellen- und Trinkwasserschutzgebieten ist ohne betriebliche Untergrenzen die SchALVO zu beachten und zudem das bundesrechtliche Glyphosatverbot.

Pflanzenschutz

Für alle Anwender von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland gelten selbstverständlich die vielfältigen gesetzlichen Vorgaben im Bereich des Pflanzenschutzes wie dreijährliche Geräte-Untersuchung, Dokumentationen, Sachkundenachweis und regelmäßige Fortbildungen. Das Land Baden-Württemberg hat drüber hinaus mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz ein „Pestizidverbot“ in Naturschutzgebieten eingeführt und verlangt die Einhaltung von „IP plus“ insbesondere in Vogelschutzgebieten und FFH-Gebieten.

Pflügen ohne GLÖZ-6 Winterbodenbedeckung

Vorgaben zur GLÖZ-6 Winterbodenbedeckungspflicht lassen für die Antragsteller keine Winterbodenbearbeitung in der Zeit von 1. Dezember bis 15. Januar zu. Die Fläche muss begrünt sein. Zumeist sind auch Stoppelbrache oder Selbstbegrünung zulässig.

Antragsfreie Ackerbauern dürfen eine Winterfurche ziehen und brauchen nicht zu begrünen, sofern das Fachrecht nicht entgegensteht. In Nitratgebieten verlangt die DüV vor Sommerungen eine Winterbegrünung. Die SchALVO enthält detaillierte Schutzbestimmungen bezüglich der Bodenbearbeitung und der Begrünung. Die Erosionsschutzverordnung bezieht sich nur auf Bezieher von Direktzahlungen. Das Bundesbodenschutzgesetz verlangt im Sinne der guten fachlichen Praxis aber generell von allen Landwirten, Bodenabträge durch eine standortangepasste Nutzung möglichst zu vermeiden.

Mais und Weizen ohne GLÖZ-7 Fruchtwechselpflicht

GLÖZ 7 wird ab 2024 von Antragstellern auf jedem Schlag den Wechsel der Kultur gegenüber dem Vorjahr verlangen. Der Fruchtwechsel gilt als erbracht, wenn eine Zweitfrucht angebaut wird, die im selben Jahr geerntet wird. Bis zu 35 Prozent der Ackerfläche gilt auch eine gelingende Untersaat bzw. eine Zwischenfrucht, die bis zum 14. Oktober eingesät wird und bis zum 15. Februar des Folgejahres nicht eingearbeitet wird, als Fruchtwechsel. Antragstellende Ackerbauern können so den Maisanteil auf zwei Dritteln des Ackerlandes halten. Ökobetriebe und Betriebe mit weniger als 10 ha Ackerbau oder mit hohem Grünfutteranteil über 75 % sind von GLÖZ 7 befreit.

Ohne Antrag hat der große Ackerbaubetrieb nur ein bisschen mehr Freiheit bei der Fruchtfolge. Er kann auch ohne Untersaaten z.B. Mais in Folge anbauen. In Maiswurzelbohrer-Gebieten lassen Allgemeinverfügungen bisher den Mais auf einem Standort maximal zwei Mal hintereinander zu. Voraussichtlich werden die Landratsämter im Frühjahr 2023 ihre Maiswurzelbohrer-Allgemeinverfügung in ähnlicher Form neu erlassen.

Produzieren ohne GLÖZ 8-Pflichtbrache

Die GLÖZ-Bracheverpflichtung von 4 Prozent des Ackerlandes ist von antragstellenden Unternehmen, egal ob konventionell oder öko, ab 10 ha Ackerfläche einzuhalten. Gewässerrandstreifen lassen sich erst ab 10 Ar Größe in die Brache einbeziehen. Die praxisfremde Vorgabe des Bundesrates vom 17. Dezember 2012, GLÖZ-Pflichtbracheflächen seit der Ernte der Hauptfrucht der Selbstbegrünung zu überlassen, kassiert Deutschland nach Kritik der EU-Kommission wieder ein. Die Bundesregierung hat zudem ihre Blockadehaltung bei der Brache aufgegeben, sodass eine Erzeugung von Getreide, Hülsenfrüchten und Sonnenblumen auf GLÖZ-Bracheflächen im Jahr 2023 möglich wird.

Das Fachrecht kennt keinen Zwang zur Stilllegung. Ab 2024 könnte dann der Verzicht auf den Gemeinsamen Antrag eine volle Produktion auf allen Ackerflächen ermöglichen.

Grünlandumwandlungsverbot

Für die Umwandlung von „neuem Dauergrünland“, das nach dem 1.1.2015 den Dauergrünlandstatus erhalten hat, fordert das Prämienrecht kein Ersatzgrünland. Für ganz neu ab 2021 entstandenes Dauergrünland soll künftig keine Ausnahme bei der Antragsbehörde mehr nötig sein, sondern eine nachträgliche Anzeige. Die Prämienbehörde beteiligt üblicherweise die Naturschutzbehörde. Und diese sieht einen Eingriff in die Natur und verlangt im Einzelfall einen Ausgleich, wenn Landwirte eine Grünlandumwandlung nach Prämienrecht anzeigen, selbst wenn das Prämienrecht den Antragstellern eine Umwandlung ohne Neuanlage von Grünland in Aussicht stellt.

Die Regelungen des Fachrechtes im Landwirtschafts- und Landeskulturgesetz (LLG) insbesondere für altes Dauergrünland, das vor dem 1.1.2015 entstanden ist, sind auch von antragsfreien Betrieben strikt zu beachten. Für später entstandenes Dauergrünland kann ein Schutz nach anderen Rechtsbereichen wie Trinkwasserschutz, Biotopschutz, FFH oder Naturschutz entstehen. Letztlich sind Landwirte genötigt, mit dem Anbau einer Ackerkultur oder hilfsweise mit einem Pflugeinsatz alle 4 Jahre penibel darauf zu achten, dass kein Dauergrünland neu entsteht. Die Instrumente der GLÖZ-Brachen oder Eco-Scheme-Begrünungen für eine Verschiebung der Dauergrünlandentstehung stehen dem antragsfreien Landwirt nicht zur Verfügung.

Spielraum ohne GLÖZ 9-Umweltsensibles Dauergrünland

GLÖZ 9 bringt ein hartes quadratmetergenaues Pflugverbot für sämtliches Grünland in allen FFH-Gebieten und in Vogelschutzgebieten. Antragsteller müssen zudem Narbenerneuerung von Grünland, z.B. im Vogelschutzgebiet Baar, 15 Werktage vorher der Prämienbehörde anzeigen, es sei denn, die Landesregierung regelt dazu noch Befreiungen.

Wer keinen Antrag stellt, hat da etwas Spielraum, muss in jedem Fall aber die Erhaltung, z.B. von FFH-LRT, und den Schutz von gesetzlichen Biotopen beachten.

Tierkennzeichnung bleibt Fachrecht

Fehlende Ohrmarken und fehlerhafte HIT-Meldungen waren in Deutschland die Bereiche mit den zahlreichsten CC-Verstößen. Das wird stark zurückgehen. Verstöße gegen die Tierkennzeichnung werden ab 2023 nur noch für Antragsteller, die gekoppelte Tierprämien beantragen, prämienwirksam sein. Das Fachrecht schreibt die Tierkennzeichnung jedoch wie bisher vor.

Wer den Konditionalitäten-Auflagen entgehen will, sollte bedenken, dass es schon mal vorkommen kann, dass von ganz anderer Seite nach dem CC-Standard oder der Greeningpflichtigkeit des Betriebes gefragt wird, so z.B. in Selbsterklärungen in Kaufverträgen für nachhaltige Biomasse oder bei der bevorstehenden automatischen Auszahlung von 180 Mio. Euro Ukraine-Anpassungsbeihilfe. Solche Querbezüge zur Konditionalität könnten zunehmen.

Flächendaten

Bei einem Verzicht auf den Gemeinsamen Antrag entfällt auch die Erhebung der bewirtschafteten Fläche im FIONA-GIS mit dem Flurstücksverzeichnis. Antragsfreie Betriebe müssen ihre Flächendaten dann z.B. für statistische Erhebungen oder für die Berufsgenossenschaft / SVLFG halt auf andere Weise aufwändig ermitteln.

Der Zugang zu FIONA-Luftbildern und zu den verschiedenen abgebildeten Umwelt-Kulissen wird vermutlich auch für antragsfreie Landwirte möglich sein. Dort kann der Landwirt erfahren, wo Nitratgebiete, Gewässerrandstreifen, Dauergrünlandstatus, FFH- und Vogelschutzgebiete und Wasserschutzgebiete etc. liegen. Die diesbezüglichen Auflagen nach Fachrecht sind ja alle einzuhalten, auch wenn gar kein Antrag gestellt wird.

Wiedereinstieg

Märkte können sich ändern. Die Sichtweise der Hofnachfolger ist oftmals eine andere. Dann stellt sich vielleicht schneller als gedacht die Frage: Wie komme ich bloß wieder in den Antrag hinein? Der Neu- oder Wiedereinstieg in den Antrag wird mit zusätzlichen Hürden verbunden sein. Für alle neuen Flurstücke, die mindestens drei Jahre lang nicht im Antragssystem geführt worden sind, soll der Neuantragsteller seine Nutzungsberechtigung zum Beispiel mit schriftlichen Pachtverträgen oder Eigentumsnachweisen belegen. Das ist im Entwurf für eine InVeKoS-Verordnung angedacht.

Insbesondere die GLÖZ-Fruchtfolge verlangt vom Ackerbauern eine Vorausplanung von langer Hand. Das Fruchtwechselgebot des Antragsjahres greift bekanntlich auf die Kultur des jeweiligen Vorjahres zurück. In der Regel wird der Betrieb sich bereits im Vorvorjahr Gedanken machen über seine Fruchtfolgeplanung für das Vorjahr der Neu-Antragstellung. Die erhoffte Freiheit beim Fruchtwechsel könnte also kürzer währen als gedacht.

Hubert God