Natur & Umwelt

Kommentar: Nitratmodell mit Realität eichen

Das Stuttgarter Umweltministerium hat fachlich gewichtige Argumente geliefert.

Historische Messungen und die räumliche Verbreitung von Zonen mit reduzierenden Bodenverhältnissen sprechen gegen einen Zusammenhang von heutigen Nitrat-Grenzwertüberschreitungen und der früheren Pistenenteisung des Flughafens Lahr. Dennoch bleiben Zweifel. Diese lassen sich allenfalls mit einem hydrogeologischen Gutachten ausräumen. Seit 30 Jahren sind die Folgen der historischen Enteisung mit Harnstoff am Flughafen Frankfurt bekannt. 200 mg Nitrat je Liter wurden dort im Grundwasserabstrombereich gemessen. Der hessische Nitratschadensfall ist auch in Baden-Württemberg hinlänglich bekannt. Die Landesregierung hätte in ihrer Antwort zu einer Landtagsanfrage darauf eingehen können. Das passte ihr wohl nicht ins Konzept. Sie verortet die Verantwortung für Überschreitung von Nitratgrenzwerten weiterhin bei der Landwirtschaft und nicht bei Flughäfen. Immerhin bestätigt die Landesregierung, dass Harnstoff bis Anfang der Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts zur Enteisung von Landebahnen eingesetzt wurde. Wie viel es denn war, bleibt leider offen. Viel Wasser ist seither den Rhein hinuntergeflossen. Je weniger man weiß, wie viel Harnstoff vor einem halben Jahrhundert, als es noch richtige Winter mit viel Schnee gab, für das Enteisen der großen Landebahnen gestreut wurde, desto weniger Gewicht hat die Frage, wo diese unbekannten Mengen denn abgeblieben sind. Deutlich langsamer als das Oberflächenwasser im Fluss ist in der Rheinebene das Grundwasser unterwegs. Es bewegt sich  mit all seiner Fracht  sogar extrem langsam durch den Untergrund. Das Tempo ist vielleicht vergleichbar mit dem kleinen Stundenzeiger an der Kirchturmuhr. Das Grundwasser hat in der Rheinebene somit ein entsprechend längeres Gedächtnis als anderswo. Längst hat das Land Modelle zur Abschätzung der Nährstoffbilanzüberschüsse der Landwirtschaft erstellen lassen. Darin soll beziffert werden, wie viel überschüssiges Nitrat sich im Sickerwasser unter einer bestimmten landwirtschaftlichen Fläche in Richtung Grundwasser bewegt. Solche Rechenmodelle werden über die bevorstehende Einstufung als Nitratgebiete entscheiden, in denen überstrenge Düngeauflagen gelten. Wegen der damit verbundenen finanziellen Nachteile wird erwartet, dass  Gerichte mit einer Überprüfung beauftragt werden. 
Es ist das Wesen von Modellen, dass sie die Wirklichkeit nie zu 100 Prozent exakt abbilden können. So wirft die Antwort der Landesregierung zum Flughafen Lahr Fragen auf. Das Nitratmodell des Landes errechnet unter Ackerland in der Grundwasserfahne des Flugplatzes für das Jahr 2009 Nitratfrachten im Sickerwasser, die über dem Grenzwert liegen. Das will nicht zusammenpassen mit dem erfreulichen Umstand, dass die gemessenen Nitratwerte in der Grundwassserfahne des Flugplatzes damals im Laufe von sechs Jahren um beachtliche 16 Milligramm je Liter zurückgegangen sind. Die Tauglichkeit von Modellen erweist sich erst bei einer Eichung mit der Realität.

Hubert God