Forderungen Politik

„Wir brauchen einen Ausgleich“

Interview: Die Ortenau, Heimat von BLHV-Vizepräsident Egon Busam, ist eine Hochburg für den Obst- und Weinbau mit überwiegend kleineren und mittleren Betrieben und hohem Arbeitskraftbedarf. Das Thema zwölf Euro Mindestlohn ab Oktober bewegt die Bäuerinnen und Bauern hier sehr stark.

Herr Busam, Sie sind Offenburger Kreisvorsitzender des BLHV und zugleich 1. Vizepräsident im gesamten Verband, inmitten einer Region, die stark von Obst- und Weinbau geprägt ist.  Wie stark beschäftigt die Berufskolleginnen und -kollegen das Thema zwölf Euro Mindestlohn? Kommen Sie überhaupt noch vom Telefon weg?

Es sind nicht nur allein die Telefonanrufe, es sind auch die Gespräche bei den täglichen Begegnungen. Das Thema lässt einen nicht los, es beschäftigt sehr intensiv. Zumal jetzt noch ganz andere Themen dazugekommen sind mit der Düngemittelversorgung und den steigenden Preisen der Betriebsmittel allgemein. Ich denke für mich, Landwirte haben schon immer Sorgen gehabt, das ist jetzt nicht neu. Mein Vater und mein Opa haben  ihre Sorgen gehabt. Noch früher sind die Leute ausgewandert vor Sorgen. Sorgen in der Landwirtschaft sind also nichts Neues, aber sie sind sehr berechtigt in diesem Fall, und wir wissen jetzt noch nicht, in welche Richtung das geht. Ich denke, dass viele Kollegen jetzt darauf schauen, wie sich tatsächlich für uns die Marktpreise entwickeln.

Was passiert denn mit der Landwirtschaft in der Region, wenn der Mindestlohn von zwölf Euro einfach so kommt,  ohne dass etwas in Richtung Landwirtschaft passiert, also nicht politisch  abgefedert wird und auch die Verkaufspreise nicht steigen?

Dann passiert Folgendes: Alle Kolleginnen und Kollegen, die für Großmärkte – also für  Großmarktpreise – produzieren, hören auf. Und dann bleiben noch ein paar wenige übrig, die an Endverbraucher verkaufen können, die diese höheren Preise respektieren. Wir brauchen zum Beispiel nur über die Grenze nach Frankreich zu schauen: Bei Straßburg gibt es Ortschaften, in denen  früher viel Gemüse angebaut wurde. Nachdem Frankreich den Mindestlohn angehoben hat, haben alle aufgehört. Da wächst jetzt überall Mais und Getreide auf den Flächen. Es gibt nur noch ein paar wenige, die ihren Kohl direkt vermarkten. Das sehe ich so auch  bei uns kommen. Der einzige Lichtblick, den ich wahrnehme, ist, dass der Lebensmitteleinzelhandel so einsichtig ist und sich den Ast, auf dem er sitzt, nicht selber absägt.  Wenn die nicht merken, wo das hinführt, haben wir alle nichts mehr. Vielleicht ist es dem Handel egal, weil er dann Ware von woanders vertreibt. Aber unsere Bevölkerung möchte das ja gar nicht. Diesen Spagat gilt es zu meistern, ansonsten wird das so kommen.

Das heißt, wir werden hier weiterhin Landwirtschaft haben, aber nicht eine, wie sie  sich  die Leute wünschen.  Die Vielfalt der Landschaft ist auch gefährdet?

Ganz sicher.

Wie sehen denn Verbraucher das Thema? Gibt es da welche, die sagen, zahlt doch euren Leuten  zwölf Euro, wo ist das Problem? Oder haben die Verständnis für bäuerliche Belange?

Wissen Sie, viele Verbraucher sind ja selbst Arbeitnehmer, und die schauen ja auch, dass sie ihren Lohn erreichen, den sie erwarten. Das ist  vollkommen legitim und verständlich. Die werden dann also nicht sagen: „Wir sind gegen den Mindestlohn.“ Die Frage ist, ob jemand, der seinen ersten Wohnsitz nicht in Deutschland hat und in einer von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Unterkunft lebt, auch unter die Mindestlohnregelung fällt. Wobei in seinem Heimatland die Löhne viel geringer sind; er also dort mit dem bei uns verdienten Lohn eine viel höhere Wertschöpfung erreicht.  Man kann also nicht alle über einen Kamm scheren. Aber die Politik sagt eben, wenn man hier und da Ausnahmen macht, dann ist das Ganze in Gefahr. Das kann ich sogar ein Stück weit verstehen. Deshalb muss man  eine Lösung suchen, um das auszugleichen. Wenn dieser genannte Mindestlohn kommt, muss es Kompensationsmaßnahmen geben in irgend einer Art und Weise, die das Weiterwirtschaften ermöglichen.

Man geht also als Berufsstand davon aus, die heilige Kuh „zwölf Euro Mindestlohn“ wird  von der Politik auch  für die Landwirtschaft nicht angetastet,  aber dann muss was anderes kommen. Wie lauten denn die Forderungen vom BLHV in diese Richtung?

Dazu haben wir uns im BLHV bereits intensiv befasst und ganz aktuell ein Positionspapier erstellt, das konkrete Kompensationsforderungen enthält. Dazu zählen zum Beipiel eine Erhöhung der Entgeltgrenze bei geringfügiger Beschäftigung, steuerliche und versicherungsrechtliche Erleichterungen,  Entlastung von Bürokratie, Verdoppelung des Zuschusses des Bundes zur Berufsgenossenschaft, Besteuerung oder Importstopp von Produkten, die nicht unter deutschen Sozial- und Umweltstandards erzeugt wurden, und einiges mehr (hier geht es zu den Forderungen).

Für eine erneute Verlängerung der 70-Tage-Regelung sieht es politisch auch nicht gut aus, lässt sich jedenfalls aus jüngsten Verlautbarungen aus dem Bundeslandwirtschafts- und Bundesarbeitsministerium schließen …

2022 ist nicht unbedingt ein Jahr, um diese Regelung auszuhebeln. Corona ist noch nicht vorbei, und wir diskutieren infolge des Ukraine-Kriegs wieder ganz neu über Ernährungssicherheit.

Wie stark setzen Sie auf die Verbraucher als Verbündete?

Die Verbraucher haben im Moment richtig Sorgen wegen der stark steigenden Kosten für das tägliche Leben sowie für Energie und Sprit. Sie haben sich ihren Lebensstandard aufgebaut, auf den sie nicht verzichten wollen, und den ich ihnen von Herzen gönne. Und jetzt soll man für Lebensmittel mehr bezahlen? Das wird nicht einfach. Wir können sicher auf einige zählen, aber bestimmt nicht auf die Masse.

Mit Egon Busam sprach Walter Eberenz